Auch dieses Jahr veranstaltete die Jakob Bleyer Gemeinschaft im Friedhof von ihre Gedenkveranstaltung anlässlich des 91. Todestages seines Namensgebers Jakob Bleyer (1874-1933). Die Verwirklichung der vereinsmäßigen Ehrerbietung fiel auf den ersten Adventssonntag, den 1. Dezember, und wurde von den Vertretern des Vorstandes der Jakob Bleyer Gemeinschaft geführt.

Die Leitung des Programms übernahm Prof. Dr. Nelu Bradean-Ebinger. Eröffnet wurde der Gedenktag mit einem gemeinsamen Vaterunser-Gebet – darauf folgte eine Kranzniederlegung, umgeben von der Wache der donauschwäbischfärbigen Vereinsfahnen der JBG.

Im weiteren Verlauf ergriff Stefan Pleyer das Wort und hielt seine Festrede ab, die unter diesem Bericht zu lesen ist. Pleyer verband die runden Jahrestage des Lebens von Jakob Bleyer dieses und des vorigen Jahres mit den diesen Jubiläen gewidmeten Aktivitäten und Konferenzen der Jakob Bleyer Gemeinschaft, ferner betonte er die Wichtigkeit des richtigen und fruchtbringenden Verhältnisses und Dialogs zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der deutschen Nationalität.

Als Schlußakt des Gedenktages wurde die ungarndeutsche Volkshymne gesungen.

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Festrede zum Gedenktag von Jakob Bleyer 2024 von Stefan Pleyer

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe anwesende Landsleute,

im Namen der Jakob Bleyer Gemeinschaft dürfen wir Sie recht herzlich willkommen heißen und uns bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie mit Ihrer Anwesenheit Jakob Bleyer und die heutige Gedenkveranstaltung geehrt haben!

Der 1. Dezember 2024: wieder mal ein kalter, taubedeckter, von rauen Steinen umgebener Tag auf dem Friedhof von Gerersdorf/Rákoskeresztúr. Wie Heinrich Heine schreiben würde: Ungarn. Ein Wintermärchen. Wie seit Jahrzehnten, schart sich auch heute unsere kleine, aber entschlossene Schar, um unserem Namensgeber, Professor Dr. Jakob Bleyer eine Ehrerbietung zu zollen. Dabei zieht man den Kalender zu Rate, und lässt ihn sprechen: Vor 150 Jahren, am 25. Jänner 1874 erblickte er in Wetsch/Dunacséb in der Batschka die Welt, und vor 91 Jahren, am 5. Dezember 1933 nahm er seinen Abschied vom irdischen Leben. Zwei (fast) runde Jubiläen zu feiern, uns daran zu erinnern und zwei Gelegenheiten zum Nachdenken.

Der Grabstein lasst uns wissen, wer hier ruht: Jakob Bleyer. Dieser Name wurde im Laufe der Zeit mit anderen epischen Adjektiven, Wendungen, mythologischen und biblischen Vergleichen ergänzt, von den Historikern, Intellektuellen, und Mitgestaltern der ungarndeutschen Kultur und Politik: War er vielleicht ein Prometheus, der seinem Volke nach dem ersten großen Weltenbrand und den Untergang des 1000-jährigen Königreiches Ungarn das Feuer mit glühendem jungem und gutem Herzen bringen wollte? Im Gedicht „Prometheus” sang Goethe: „Wer rettete vom Tode mich, Von Sklaverei? Hast du nicht alles selbst vollendet, Heilig glühend Herz?Anderswie gefragt: Erschien uns damals ein deutschungarisch-donauschwäbischer Zarathustra, der mit seiner Botschaft zu früh kam und von niemanden richtig verstanden wurde?

Oder entdecken wir den Moses des alten Testaments in der Bleyer’schen Gestalt? Vor ihm und dem deutschen Volke in Ungarn spaltete sich das Meer der Völker und Zeiten, und die Volksgruppe machte sich auf den von den Allmächtigen geebneten Weg, wo sie von Bleyer angeführt wurde. Diese Meerspalterei gipfelte in der Gründung des Ungarländischen Deutschen Volksbildungsvereins genau vor 100 Jahren, im Jahre 1924. Aus dem Anlass des Jubiläums trat unsere Jakob Bleyer Gemeinschaft (auch neben anderen deutschen Organisationen) als Vorreiter mit der im September in Wudersch veranstalteten Konferenz hervor, wo sich ungarndeutsche Historiker dem historischen Ereignis mit themenrelevanten Beiträgen widmeten. Nicht zufällig zeichnete der Verein diesen Jahrestag mit einer so großen Aufmerksamkeit aus: Der Volksbildungsverein ist als die erste allumfassende politische Organisation zu verstehen, die sich für die Vertretung des ganzen Ungarndeutschtums einsetzte (auch nicht vergessend die Steinacker’sche Ungarländische Deutsche Volkspartei von 1906, die diese Aufgabe noch nicht erfüllen konnte).

Wahrhaftig glühend wurden einzelne Schichten der deutschen Bevölkerung durch die rege Tätigkeit des Volksbildungsvereins zusammengeschmolzen – der Name verpflichtet, wie man sagt: Bleyers Schwarzwälder Ahnen kamen ursprünglich aus Tirol, der Alpenregion, woher auch sein oberdeutscher Familienname stammt: die alte mittelalterliche Berufsbezeichnung „Bleyer” bedeutet in erster Linie Schmelzmeister. Das Hauptaugenmerk richtete sich vor allem auf den Zusammenschluss des donauschwäbischen Bauerntums, da das Bürgertum der Siebenbürger und Zipser Sachsen und noch andere ungarndeutsch-deutschungarische Volksgruppen mit Trianon 1920 verloren gingen. Die bäuerliche Volkskultur wurde beim UDVV auch mit der gesamtdeutschen Hochkultur gepaart: Goethe- und Lenau-Leseabende folgten den Feldarbeiten auf dem Lande. Diese Auffassung spiegelt sogar die Zielsetzung der Jakob Bleyer Gemeinschaft wider: das Ungarndeutschtum mit der deutschen Hochkultur zu verbinden. Sei der Schwab’ ein Akademiker, ein Ingenieur, ein IT-Manager, ein Lebensmittellieferant oder Landwirt: Der Bleyer’sche Geist schreibt uns das Gebot vor, dass wir als Kulturverein alle Teile des Schwabentums ansprechen sollen. Um diese Mahnung umzusetzen ist das heutige Bleyerische auf allen möglichen Seiten, Plattformen der Weltennetze eingebettet und gegenwärtig. Der Parole nach, Mutatis mutandis – nach Änderung des zu Ändernden verbreiten wir unsere Botschaft, Werke und Inhalte gleichzeitig auf Facebook, Instagram und Youtube, und die etwas modernisierte, aber unverfälscht gebliebene Sonntagsblatt-Marke erwarb auch in diesen Bereichen ein dauerndes Bürgerrecht. Letztes Jahr haben wir den 90. Todestag Bleyers in Fünfkirchen mit einer innovativen Konferenz denkwürdig gemacht, wobei unsere Akademiker über die aktuellen Fragen und Dilemmas der deutschen Nationalität berichtet haben, wie die Volkszählung 2022 oder die Lage der ungarndeutschen Wissenschaft.

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft: das Zusammenspiel dieser drei genauso wichtigen zeitlichen Dimensionen. Das führte sich auch der vielseitige Akademiker, Wissenschaftler, Nationalitäten- und Landespolitiker Jakob Bleyer vor seinen Augen, als er seine Rettungsaktion für seine Volksgruppe begann. Die Anpassungsfähigkeit, uns schnell auf neue Herausforderungen und Gegebenheiten einzustellen ist ja Kolonistentugend der Nachkommen eines Kolonistenvolkes. Wenn wir uns heute herumschauen, wird es klar, dass wir auch in unserem Zeitalter vor zahllosen Herausforderungen stehen. Vor Drachenköpfen, die unsere Nationalität, aber zugleich das Heimatland Ungarn, das Vaterland Deutschland und die größere Patria Europa nagen und plagen: Individualisierung der Gesellschaft durch Digitalisierung und Selbstentfremdung, die uniformisierende Tendenzen der Globalisierung, die Rückständigkeit des ungarndeutschen und des allgemeinen Bildungssystems, Abwanderung der Bevölkerung und die Gefahren der illegalen Migration, damit der Rückgang der demografischen Daten, die ideologisch motivierte künstliche Umwertung des traditionellen menschlichen Familienbildes, Assimilationsdruck, was bei unseren ungarndeutschen Landsleuten meistens lieber nur Selbstassimilationsdruck ist, Verlust der Religiosität und schließlich traurigerweise die weit und breit verbreitete kulturelle und soziale Gleichgültigkeit.

Es lässt sich also zweifelsohne feststellen: Unsere Generation steht vor einer Entscheidung. Lassen wir uns von den uniformisierenden Wellen der Globalisierung treiben oder halten wir uns an unseren identitätsstiftenden Eigenschaften fest, die wir von unseren Vorfahren geerbt haben, welche auch unser eigenes Dasein bilden? Am frommen christlichen Glauben mit seinem Weltbild und Wertekanon, der jahrhundertealten deutschen Nationalitätensprache und der das geistige Heim gebenden deutschen Hoch- und Volkskultur von Goethe, Schiller bis Nikolaus Lenau und Valeria Koch, von Beethoven und Liszt bis zur Blasmusik. Die Jakob Bleyer Gemeinschaft wählt eindeutig den Kurs der Selbstbewahrung der Nationalitätengemeinschaft des Ungarndeutschtums! Bewusst der Devise nach: „Glaube, Sprache und Kultur, sind die Pfänder der ungarndeutschen Zukunft!“ Wo es Drachenköpfe gibt, muss es auch Drachenkräuter geben: Im Zeichen vom mutatis mutandis lasst uns diesen modernen Tendenzen trotzen und eine kraftvolle Entgegenwirkung wagen – so wie der fromme Schwabenahn im Schwabenlied von Bleyer: durch Sumpf und Wildnis brach sein Mut sich Bahn” gewappnet mit der Überlebenskraft, Unternehmungslust, Erfindergeist und Schaffensfreude von Jakob Bleyer und unseren Vorfahren, für das 1200-1000-jährige deutsche Volk in Ungarn/das Ungarndeutschtum, für das gemeinsame Heimatland, das Regnum Marianum Ungarn, für das Vaterland Deutschland und für die größere Patria Europa. In diesem Geiste möge Meister Schiller mit dem Rütlischwur unsere Worte schließen, als wir um das Grab von unserem Jakob Bleyer stellen:

 

Lasst uns den Eid des neuen Bundes schwören,

Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern,

in keiner Not uns trennen und Gefahr.

Wir wollen frei sein, wie die Väter waren,

eher den Tod, als in der Knechtschaft leben.

Wir wollen trauen auf den höchsten Gott

und uns nicht fürchten vor der Macht der Menschen